»merkwürdig unfrei«
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Satire/Glosse

Des Rockers neue Safety-Kutte

Reflexionen über die EU-konforme Warnweste

2007-05-02; zuletzt überarbeitet 2009-01-22  |  rb  |  Dank an D. R.-S.

Der Zweck des vorliegenden satirischen Textes ist es nicht, die akutelle Rechtslage wiederzugeben: die Quellen liefern teils widersprüchliche Informationen, die Gesetzeslage ändert sich permanent. Der Betrag wird in dieser Hinsicht auch nicht aktualisiert.

Lediglich die folgenden beiden Nachträge konnte ich mir dann doch nicht verkneifen.

1. Die Warnwestenpflicht für Fahrradfahrer, angedacht in Wien:
http://derstandard.at/?url=/?id%3d1226396765371%26sap%3d2%26_pid%3d11242578.

2. Das Neueste aus der Schweiz:
»Einzelantrag von SVP-Nationalrat Josef Kunz (Luzern). Er fordert, dass sich Fussgänger künftig in der Nacht ausserorts markieren müssen. Das stete Mittragen einer reflektierenden Armbinde solle für obligatorisch erklärt werden.« (Quelle: http://www.freiheit-liberte.ch/)

Des Rockers neue Safety-Kutte …
Fotomontage: rb
Schon vor einiger Zeit hat die EU ihre Untertanen mit einer Warnwesten-Richtlinie beglückt. Die Westen sind nach DIN EN 471 genormt, in zwei Farben zulässig (neon-gelb oder neon-orange), mit Reflexstreifen versehen und − passend für den dressierten Bürger − in einer Einheitsgröße erhältlich, was immerhin eine gewisse Vereinfachung bei der Beschaffung darstellt. Das Tragen der Warnweste ist beim Verlassen des Fahrzeugs zumindest im Falle einer Panne oder eines Unfalls vorgeschrieben. Verlässt man sein Fahrzeug aus einem anderen Grund, z.B. zum Pinkeln, geht es eventuell auch ohne − das hängt von der landesspezifischen Umsetzung der Richtlinie ab. Wie auch immer: man kann nur eine vorhandene Warnweste anziehen, weshalb es einer Mitführpflicht bedarf, die in immer mehr Mitgliedsstaaten auch für privat genutzte Kraftfahrzeuge besteht und die Sache en detail − allerdings auch von Land zu Land unterschiedlich − regelt.

ADAC, ACE, AvD, VCD und Co. werden nicht müde uns vorzubeten, dass wir im Ausland diesbezüglich strenge Kontrollen und gegebenenfalls hohe Strafen zu gewärtigen haben.

In Italien z.B., so erfahren wir, müssen die Warnwesten im Kraftfahrzeug nicht einfach nur mitgeführt werden. Sie haben für den Fall einer Verunfallung griffbereit im Innenraum zur Verfügung zu liegen. Keineswegs zulässig ist es also, sie etwa im Kofferraum zu verstauen. Außerdem benötigt man für jeden vorhandenen − besser, so wird gemunkelt, auch für jeden potenziellen − Insassen ein Exemplar. Ich erinnere mich, dass mir auf dem Höhepunkt der Hysterie ein windiger Internet-Händler per E-Mail das Angebot eines »Komplettsatzes« von fünf Warnwesten machte, weil ein Standard-PKW schließlich über »fünf Sitzplätze einschließlich Führerplatz und Notsitz« verfügt.

Vor einiger Zeit war ich in England und Schottland und durfte feststellen, dass dort staatlich Bedienstete und Arbeitnehmer, die im oder mit dem Fahrzeug ihrem Job nachgehen, die Warnweste gleich beim Fahren tragen. Selbst das lässt sich übrigens noch toppen: in einem der skandinavischen Länder dürfen des nachts Fußgänger außerorts nur mit Reflektoren am Leib unterwegs sein. Auch eine Art Warnwestentragepflicht, wie eifrige deutsche Medien sofort zu berichten sich verpflichtet fühlten.

Und in unserem Vaterlande? Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht lässt dem Gesetzgeber gewisse Spielräume, wie wir gesehen haben. Uns Deutschen unterstellt man oft − zumindest unterstellen wir es uns nur allzu oft selbst −, besonders penibel, gründlich und konsequent, vor allem aber ausufernd zu sein in allem, was Vorschriften und Verbote betrifft. Wie müsste nun die deutsche Version der Warnwesten-Pflicht aussehen, folgt man den gängigen (Vor-)Urteilen?

Danach säßen wir wohl alle mit übergestülpter Weste im Auto, und zwar auch während einer privaten Fahrt. So wäre man selbst dann noch korrekt gekleidet, wenn man bei einem Unfall aus dem Fahrzeug geschleudert wird, also sozusagen unfreiwillig aussteigt. Maximaler Tribut wäre der Warnweste schließlich gezollt, wenn sich die Tragepflicht gleich summarisch auf alle Verkehrsteilnehmer nebst mitgeführter Haustiere im öffentlichen Raum erstreckte.

Tatsächlich gilt die Pflicht zum Mitführen in Deutschland (»derzeit!«) nur für gewerbliche »Einsätze«, z.B. für Berufskraftfahrer, das Bußgeld hält sich in erträglichen Grenzen und Kontrollen sind selten. Das Ganze wird also von deutscher staatlicher Seite angemessen unaufgeregt gehandhabt. Offensichtlich kann auch ein nicht richtig verarbeiteter historischer Schock seine positiven Konsequenzen haben.

Damit ist diese Geschichte aber noch nicht zu Ende. Man möchte uns doch gerne über die Gesetzeslage hinaus erziehen. Und selbststredend hat die Motorrad-Bekleidungs- und -Zubehör-Industrie die EU-Warnweste umgehend in ihr Sortiment aufgenommen.[1] Die Informationen, die man von dort bekommt, sind aber durchaus widersprüchlich. So heißt es z.B. bei Detlev Louis …

  • … im Online Shop 2007 (in originaler Zeichensetzung!!):
    »Warnwesten sind in Spanien, Portugal, Finnland, Tschechien, Ungarn, Belgien, Montenegro, Norwegen, Rumänien, Slowakei und in Österreich auch für ausländische Besucher Pflicht! Diese müssen außerorts, beim Verlassen des Fahrzeugs, im Falle einer Panne oder eines Unfalls getragen werden. Ganz gleich ob als PKW-, LKW- oder Motorrad-Fahrer!! Ausgenommen Italien und Kroatien, dort herrscht keine Warnwesten-Pflicht für Motorradfahrer.«[2]
  • … im Katalog 2007 hingegen:
    »Pflicht für mehrspurige Fahrzeuge in Italien, Spanien, Portugal, Österreich, Tschechische Republik, Ungarn und Finnland. Für 2-Räder in Kroatien!«[3]
Anwendungsbeispiel: Polo [4] Verstauungsbeispiel: Detlev Louis [5]

Ja, was gilt denn nun für Motorräder in Spanien, Portugal, Österreich (dem deutscheren Deutschland)? Und in Kroatien? Da man in diesem kürzlich demokratisierten Land erst ab 16 Jahren ohne Begleitung Fahrrad fahren darf, nehmen wir vorsichtshalber an, dass eine Mitführpflicht existiert.

Teile der selbstlos-fürsorglichen Zubehör-Industrie geben uns ferner den Tipp, die Warnweste nicht nur für den Notfall mitzuführen, sondern sie in voreilendem Gehorsam gleich während der Fahrt zu tragen. Zumindest (oder zunächst?) bei Nacht und Schmuddelwetter. Eine der bekannten Shop-Ketten leistete sich sogar das Wortspiel, dass ein solches Verhalten besonders den »Schwarzfahrern« anzuraten sei.

Zu den »Schwarzfahrern«, also zu denjenigen Motorradfahrern, die statt papageienbunter Kombis gerne Dunkles tragen, gehören auch Motorrad-Rocker (wenn wir von den Colours einmal absehen). Klassisch wäre natürlich schwarzes Leder. Auch die schönen alten Jeanskutten sind mittlerweile von diesem Material weitgehend verdrängt worden, aus welchem Grund auch immer (Leder entstinkt sich, wie echte Schurwolle, selbsttätig). Überhaupt ist nichts ist mehr, wie es einmal war. Oder wie wir beim romantisierenden Blick zurück in die Vergangenheit meinen, dass es einmal war.

So veranstaltet die Biker Union e.V. (kurz BU), der »Dachverband der Rocker, Biker und Motorradfahrer« (www.bikerunion.de/), jedes Jahr die »RegioRides«. Begleitet von Motorradpolizisten geht es da in der Kolonne in eine Großstadt, z.B. Stuttgart. Dann findet eine eindrucksvolle Demo von ca. 25 Mann gegen die Diskriminierung von Bikern und Motorradfahrern, gegen Streckensperrungen und andere Übel statt. Die Biker und/oder Rocker am Anfang und am Ende der Kolonne tragen angesichts des erhöhten Risikopotenzials, zur optischen Kennzeichnung ihres Status und als Trägermaterial für politische Parolen natürlich eine (sozusagen also multifunktionale) EU-Warnweste. Eine der aufgeklebten Parolen lautet: »Gegen den Tragezwang von Schutzkleidung«. Das ist der Unterschied zwischen »freiwillig« und »zwangsweise«.

BU-Demo RegioRide 2006, Stuttgart. Fotos: rb

2007. Es ist Anfang Mai. Motorrad-Rocker kommen mir auf der Landstraße entgegen. Harleys, chromblitzend, mit Satteltaschen und Gepäckrolle. Die Lenker entweder tief und breit, wie bei der Anfangssequenz von Lawrence Of Arabia. Oder hoch und breit, wie bei Easy Rider. Auch die Fahrer entsprechen, soweit ich das erkennen kann, während sie an mir vorbeidonnern, durchaus dem erfolgreich kolportierten Klischee. Auf dem Kopf Stahlhelme oder Brain Caps, die jedem Verkehrssicherheitsexperten die Tränen in die Augen treiben. Und mit Kutte, natürlich. Das Ganze in einer Kolonne, zwei Maschinen nebeneinander, und ziemlich lang.

Welcher MC es ist, kann ich aber beim besten Willen nicht mehr feststellen, weil ich dann doch zu verblüfft bin. Die beiden Fahrer ganz vorne und die beiden ganz hinten tragen, einmal in gelb, einmal in orange, EU-Warnwesten: des Rockers neue Safety-Kutte.

Vielleicht ist es ja ein christlicher Motorrad-Club, von denen es in diesem Land eine handvoll geben soll, rede ich mir ein. Oder es handelt sich um Berufskraftfahrer aus der Security-Branche. Oder um die Motorradgruppe des Deutschen Bundestages.

Es wäre eine hinreichende Entschuldigung.

[1]Das Sortiment umfasst auch Schulter- und Hüftgürtel (»Leuchtgürtel«) sowie diverse Aufkleber. Für Hunde und Kinder sind entsprechende Halsbänder und Latze erhältlich.
[2]    Quelle: http://www.louis.de/; Online-Shop,
Suche »Warnweste« (Artikel-Nr. 10001035)
[3]    Detlev Louis, Katalog 2007 (Print-Ausgabe), S. 448 (Hervorhebung von mir)
[4]   http://www.polo-motorrad.de/; Online-Shop,
Suche »Warnweste« (Artikel-Nr. 32026409010)
[5]   siehe Fußnote [2]
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